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I. Die neue kapitalistische Wirtschaft ist die Ursache für Polens wirtschaftliche Schwierigkeiten

In der DKP-Broschüre bemüht sich W. Gerns, die Entwicklung in Polen so zu erklären:

Sie (diese wirtschaftlichen Schwierigkeiten) äußern sich vor allem in einer zunehmenden Kluft zwischen rasch gestiegener Massenkaufkraft und einem damit nicht Schritt gehaltenen Wachstum des Warenangebots. Die Folge davon sind trotz steigenden Lebensstandards Mangelerscheinungen, Käuferschlangen, Unzufriedenheit der arbeitenden Menschen, die sich mit ihrer vollen Lohntüte auch entsprechend mehr kaufen wollen.“ (S. 15)

Damit wird die Lage der werktätigen Bevölkerung Polens stark untertrieben. Ein Sechstel der Bevölkerung lebt unter dem Existenzminimum. 40 % der Kinder müssen mit weniger auskommen, als nach Ansicht polnischer Experten zum Leben notwendig wäre. Das wurde in dem Parteiorgan der polnischen revisionistischen Partei „Trybuna Ludu“ vom 2. Januar 1981 zugegeben. Die „Frankfurter Rundschau“ vom 3. Januar berichtet weiter darüber:

„Laut ,Trybuna Ludu' sind vor allem alte und erwerbsunfähige Menschen von der Armut betroffen. Kinderreiche Familien – immerhin 17 % und alleinstehende Mütter verfügen ebenfalls häufig nicht über ausreichende Einkommen. Schließlich seien in dem Zusammenhang noch jungvermählte Paare zu nennen, die durch Kinder und hohe Mieten belastet seien.“

Sehr positive“ Entwicklung?

Trotzdem behauptet W. Gerns:

Zunächst einmal sollte man sich durch die derzeitigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten Polens … nicht den Blick dafür verstellen lassen, daß die Bilanz der wirtschaftlichen Entwicklung in Polen insgesamt sehr positiv ist.“ (Seite 14 – Hervorhebung durch uns)

Wie kann es aber bei einer „sehr positiven“ Entwicklung zu „Mangelerscheinungen“ kommen – und das nach 35 Jahren angeblichen Aufbaus des Sozialismus?

Gerns lenkt den Blick für die polnische Misere (natürlich) ins kapitalistische Ausland:

Um das Tempo der Entwicklung der Industrie und des Lebensstandards zu beschleunigen, wurden in der ersten Hälfte der siebziger Jahre enorme Investitionen getätigt, die zum Teil durch die Aufnahme großer Kredite in kapitalistischen Ländern finanziert wurden. Dabei ließ sich die polnische Führung von der Überlegung leiten, daß diese Kredite später durch den Export von Produkten aus den mit ihrer Hilfe errichteten neuen Produktionsanlagen zurückgezahlt werden sollten. Dieses Vorhaben wurde allerdings durch die sich ab Mitte der siebziger Jahre verschärfenden wirtschaftlichen Krisenprozesse außerordentlich erschwert.

Infolge des zyklischen Produktionsrückgangs und des späteren nur gedämpften Wachstums in den kapitalistischen Ländern sperrten sich diese immer mehr gegen polnische Waren.“ (S. 16/17 – Hervorhebung durch uns)

Die letztere Behauptung ist eine plumpe Lüge! Die BRD ist der wichtigste westliche Außenhandelspartner von Polen. Exporte in die BRD:

(in Mio DM)

1969 - 532

1970 - 744

1971 - 770

1972 - 988

1973 - 1 219

1974 - 1 426

1975 - 1 436

1976 - 2 286

1977 - 2 089

1978 - 2 086

1979 - 2 207

(Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft – Leistung in Zahlen 79)

Von einer Sperrung der polnischen Waren kann keine Rede sein. Allein in den 10 Jahren von 1969 bis 1979 stieg der polnische Warenexport in die BRD um das Vierfache. Die Steigerung von 1979 hielt auch im 1. Halbjahr 80 an. Nach Angaben des „Statistischen Hauptamtes für Planerfüllung“ in Polen hat sich der Export in die westlichen Industrieländer im 1. Halbjahr 80 gegenüber dem 1. Halbjahr 79 sogar um 38,8 % erhöht. („Handelsblatt“, 8.8.80) Damit steigen die Exporte in die westlichen Länder schneller als die Einfuhr aus diesen Ländern.

Doch wir fragen W. Gerns: Ist denn eine Verschuldung von 20 Mrd. Dollar im westlich-kapitalistischen Ausland eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit? Wie kommt es, daß eine der größten Industrienationen der Erde nach 35 Jahren angeblichen sozialistischen Aufbaus so von den westlichen Imperialisten abhängig wird? Was sind dafür die Ursachen? Darauf gibt Gerns keine Antwort; er nimmt die Verschuldung dieses Ausmaßes offenbar als absolut normal hin. Gerns behandelt nur die Auswirkungen dieser Ausverkaufspolitik, deren Lösung er dann den Arbeitern anlasten will. Die Ursachen dieser Ausverkaufspolitik liegen aber im Innern.

Äußere Ursachen für die polnische Krise hauptsächlich verantwortlich zu machen, ist also nicht stichhaltig; es sei denn durch die Ausbeutung des Sozialimperialismus – aber darüber weiter unten. Wenden wir uns daher den inneren Ursachen Polens zu, um dem Kern näherzukommen.

Als zweite Ursache der polnischen Krise nennt Gerns:

Wenn sich in Polen eine zunehmende Kluft zwischen Kaufkraft und Warendeckung entwickelt hat, so bedeutet das, daß in der praktischen Wirtschaftspolitik – aus welchen Gründen auch immer (!!) – die genannten objektiven ökonomischen Erfordernisse verletzt wurden.“

„… aus welchen Gründen auch immer …“ – sehr wichtig scheint dem „Genossen“ Gerns, führendes Mitglied des DKP-Parteivorstandes, die Frage nicht zu sein, warum den Werktätigen in Polen der Fortschritt nicht zugute kommt! Was soll das für ein Sozialismus sein, wo nach 35 Jahren „sozialistischen Aufbaus“ die Werktätigen zum Verzicht aufgerufen werden?

Stalin (den die modernen Revisionisten wohlweislich ablehnen) sagte 1934 auf dem XVII. Parteitag der KPdSU:

Es wäre eine Dummheit anzunehmen, daß der Sozialismus auf der Basis des Elends und der Entbehrungen, auf der Basis der Einschränkungen der persönlichen Bedürfnisse und der Senkung der Lebenshaltung der Menschen auf die Lebenshaltung von Armen errichtet werden könnte, die übrigens selbst nicht arm bleiben wollen und nach einem Leben in Wohlstand streben. Wer braucht einen solchen, mit Verlaub zu sagen, Sozialismus? Das wäre kein Sozialismus, sondern eine Karikatur auf den Sozialismus … Denn der Sozialismus, der marxistische Sozialismus, bedeutet nicht Einschränkung der persönlichen Bedürfnisse, sondern ihre allseitige Erweiterung und Entfaltung, nicht Beschränkung oder Verzicht auf die Befriedigung dieser Bedürfnisse, sondern allseitige und vollständige Befriedigung aller Bedürfnisse kulturell hochstehender werktätiger Menschen.“ (Werke Bd. 13, S. 319)